Hugo von Rouen – Leben und Werk

Im Hugo von Rouen begegnen wir einer faszinierenden Persönlichkeit des Mittelalters und einem tatkräftigen Vertreter der kirchlichen Hierarchie. Er findet jedoch in der Wissenschaft nicht die Beachtung, die er meiner Ansicht nach verdient hätte. Kritische Editionen und Übersetzungen seiner Werke sind ebenso Mangelware wie Berichte über seinen Lebenslauf. Ich habe versucht, aus den mir zur Verfügung stehenden Quellen einen kurzen Abriß seines Lebens zusammenzustellen, um ihnen dieses weitgehend unbekannten Menschen etwas näher zu bringen. (1)Über die frühen Lebensjahre Hugos von Rouen besitzen wir so gut wie keine Informationen. Sicher ist nur, daß er im Jahr 1085 in der Gegend von Amiens geboren wurde. Daher kommt auch seine Benennung als Hugo von Amiens, die vielerorts zu finden ist. Hier in dieser Arbeit soll Hugo, nach einer ebenfalls gebräuchlichen Benennung, als Hugo von Rouen, gemäß seiner Wirkstätte als Erzbischof, bezeichnet werden. (2) Hugo stammte aus vornehmem Hause stammte, worauf Verwandtschaftsangaben in verschiedenen Briefen und eine Bemerkung in einem Brief von Petrus Venerabilis hinweisen. (3)

Die erste Erwähnung Hugos finden wir, als er als clericus im Jahr 1099 anläßlich einer Bischofsweihe in Reims zugegen war. In den darauffolgenden Jahren hat er unter Anselm von Laon an der Kathedralschule von Laon studiert und ist um das Jahr 1110 in die berühmte Abtei Cluny eingetreten. Auch sein Verwandter Matthäus, der spätere Kardinal von Albano, dem die Sieben Bücher der Dialoge gewidmet sind, und Petrus Venerabilis, mit dem Hugo zeit seines Lebens, wie aus seinen Briefen hervorgeht, eine enge Freundschaft verband (4), sind in dieser Zeit in Cluny eingetreten und haben wie Hugo dort ihre ewigen Mönchsgelübde abgelegt.

1113 wurde Hugo Prior von St. Martial in Limoges und später von St. Pankratius in Lewes in England. Dort muß König Heinrich I. auf den begabten Mönch aufmerksam geworden sein, denn er veranlaßte, daß Hugo 1123 der erste Abt der wenige Jahre zuvor von Heinrich I. gegründeten Abtei Reading wurde. Diese Abtei erlebte unter Hugo eine spirituelle und wirtschaftliche Blüte, die mit einer umfangreichen Ausweitung der Besitztümer einherging. In Reading hat Hugo, wie später auch in Rouen, das Fest der Unbefleckten Empfängnis Mariens eingeführt, das sich in der damaligen Zeit verbreitete. Einige theologische Werke Hugos sind in dieser Zeit entstanden, unter anderem die Erstfassung der Sieben Bücher der Dialoge. Möglicherweise haben diese die Aufmerksamkeit Papst Honorius’ II. auf sich gezogen, als Matthäus diese bei seiner Reise nach Rom im Jahr 1126 mit im Gepäck hatte.

Honorius II. berief im Jahr 1128 Hugo gegen den heftigen Widerstand König Heinrichs I. (5) in seinen Dienst nach Rom. Papst Honorius II. schätzte die Weisheit Hugos, seine Demut und seine Begabung zum Schreiben von Briefen. Er nannte ihn einen besonderen Sohn des heiligen Petrus und seiner selbst und bezeichnete ihn mit dem sonst nicht belegten Ehrentitel specialis clericus. Der Papst wünschte, daß man Hugo auch nach seiner Rückkehr nach England im Jahr 1129 als besonderen Sohn des Heiligen Stuhls betrachten möge. Unter anderem wurde Hugo mit der bedeutenden Aufgabe betraut, für die Übersendung des Peterspfennigs nach Rom Sorge zu tragen.

Im Jahr 1130 wurde Hugo, sicher auch unter dem Einfluß des Königs Heinrich I., vom Kapitel der Kathedrale zum Erzbischof von Rouen gewählt. Da Hugo im besonderen Dienst des Papstes stand, mußte zuvor noch die Erlaubnis Honorius’ II. eingeholt werden, der Hugo für sein neues Amt freizugeben hatte. Nach der Erlaubnis des Papstes stand der Konsekration Hugos nichts mehr im Wege, und diese erfolgte am 14. September des Jahres 1130 in der Abteikirche St. Ouen in Rouen. In seiner Diözese hatte Hugo von Beginn seiner Regierungszeit an teils massive Streitigkeiten mit mächtigen Abteien auszutragen, die eine Ausweitung ihrer Privilegien anstrebten.

Nach dem Tod Honorius’ II. im Jahr 1130 kam es zu einem Schisma. Hugo stellte sich dabei entschieden auf die Seite Innozenz’ II. und unterstützte diesen in seinem Kampf gegen Anaklet II. Dabei kam es Hugo zu, Innozenz II. brieflich die Unterstützung König Heinrichs’ I. zuzusagen. Im Jahr 1131 empfing Hugo Innozenz II. in Rouen. Er erwies sich als ein starker Mitstreiter des Papstes in den Anliegen der Kirchenreform. Sein Kampf gegen die Einmischung weltlicher Herrscher in kirchliche Angelegenheiten führte zu einem Zerwürfnis zwischen Hugo und Heinrich I. und Hugo floh im Jahr 1134 nach Pisa, wo er mit Papst Innozenz II. zusammentraf. Dieser beauftragte ihn im Sommer 1134, offiziell als Legat des Papstes in Südfrankreich tätig zu sein. Nach Erledigung dieser Aufgabe und seiner Rückkehr nach Rouen im Jahr 1135 folgte die Aussöhnung mit dem todkranken Heinrich I., dem Hugo zuletzt in seiner Sterbestunde Beistand leistete.

Im Jahr 1145 wurde Hugo nochmals mit einer überdiözesanen Aufgabe betraut. Zusammen mit Kardinal Alberich hatte er in der Gegend von Nantes verschiedene Streitigkeiten im Zusammenhang mit dortigen Häresien zu klären. Überhaupt war Hugo viel in kirchenpolitischen Angelegenheiten engagiert und hat an mehreren Konzilien und Synoden teilgenommen. (6) Im Jahre 1147 finden wir Hugo auf dem Konzil von Paris, wo er sich an der theologischen Diskussion um die umstrittene Trinitätslehre Gilberts von Porreta beteiligt hat. Auf politischer Ebene war Hugo ein eifriger Mitstreiter König Stephans, des Nachfolgers Heinrichs I., wenngleich sein Einfluß auf die Politik des englischen Königtums in späterer Zeit abgenommen zu haben scheint.

In seiner Bischofsstadt hat Hugo die Planung einer neuen, gotischen Kathedrale in die Wege geleitet, die dann allerdings zum größten Teil erst nach seinem Tod gebaut wurde. In der Nacht vom 10. auf den 11. November des Jahres 1164, dem Festtag des Hl. Martin, ist Hugo in Rouen verstorben. In seiner Kathedrale hat er seine letzte Ruhe gefunden. Ein von Bischof Arnulf von Lisieux noch für die romanische Vorgängerkirche angefertigtes Grab wurde später in den Chorumgang der gotischen Kathedrale eingebaut und erinnert noch heute an den großen Erzbischof. (7)

Trotz seiner umfangreichen pastoralen und kirchenpolitischen Tätigkeit fand Hugo die Zeit, mehrere theologische Werke zu verfassen. (8) Sie behandeln eine Vielzahl theologischer und spiritueller Themen und sind inhaltlich und stilistisch von hoher Qualität.

Ein frühes Werk Hugos ist die Vita Sancti Adjutoris, eines Mönchs des Klosters Tiron, der dort im Jahr 1132 verstorben ist. Die Vita hat Hugo wohl kurz nach dessen Tod verfaßt. Der Heilige wurde während des ersten Kreuzzugs durch ein Gebet zu Maria Magdalena der Hand der Sarazenen entrissen. In diesem Werk preist Hugo besonders die monastische Lebensweise, Armut, Einsamkeit und Abtötung.

Zwischen 1141 und 1146, vermutlich im Jahr 1142, entstand der Bischof Arnulf von Lisieux gewidmete Tractatus in Hexaemeron, auch Libri Tres in Genesim I-III genannt. Hugo legt darin jeweils kurze Abschnitte des Schrifttextes gemäß dem vierfachen Schriftsinn aus und behandelt davon ausgehend besonders die Themenkomplexe Gott als Schöpfer, Dreifaltigkeit und Sündenfall näher. Dieses Werk ist nur fragmentarisch erhalten.

In der Zeit zwischen den Jahren 1145 und 1147 entstand der Traktat Contra haereticos sui temporis, auch De ecclesia et ejus ministris libri tres genannt. Neben den Sieben Büchern der Dialoge ist er ein weiteres besonders bedeutsames Werk Hugos. Er ist Alberich, Kardinal von Ostia, gewidmet. Wenn sich auch bei manchen Autoren eine Frühdatierung auf das Jahr 1130 findet, so ist er doch wohl in Zusammenhang mit der Legation zu sehen, bei der Hugo im Jahr 1145 zusammen mit Alberich in der Gegend von Nantes gegen Häretiker vorzugehen hatte. Das Werk beschäftigt sich vor allem mit strittigen Fragen der Trinitätslehre.

Wahrscheinlich erst nach 1154 entstand das Hugos Neffen Giles von Perche, dem Erzdiakon von Rouen und späterem Bischof von Evreux, gewidmete Werk De fide catholica et oratione dominica. Es ist ein Kommentar zum Vater Unser und zu einigen an die Apostel gerichteten Herrenworten. Auch hier beschäftigt sich Hugo eingehend mit der Erklärung der Trinität. Das Werk könnte somit in Zusammenhang stehen mit der Diskussion um die auf dem Konzil von Paris 1147 verurteilten Trinitätslehre des Gilbert von Porreta.

Ein Spätwerk Hugos, dessen Datierung unklar ist, ist der Tractatus de memoria, complectens tres libros in laudem memoriae. Dieses Werk ist einem gewissen Philipp, vielleicht Philipp von Harcourt, Bischof von Bayeux, gewidmet. Hugo nennt sich darin selbst einen alten und kranken Mann. Ihm liegt darin besonders die Einheit der Kirche und die Treue zur Lehre der Kirche, den Geheimnissen des Glaubens, die letzten Endes von Gott stammen, am Herzen.

Erhalten sind auch mehrere Briefe Hugos, mit theologischem Inhalt, aber auch zu verschiedenen kirchenpolitischen Themen. (9) Sie zeigen Hugo in Verbindung mit den einflußreichsten Männern seiner Zeit, mit Papst Innozenz II. und Eugen III., mit König Ludwig von Frankreich und Heinrich II. von England, mit Abt Suger von St. Denis und anderen. Bei den in Rouen unter Hugo angefertigten Briefen und Urkunden läßt sich ein besonders auffälliger Stil feststellen, der dem der römischen Kurie ähnlich ist und sich deutlich von dem seiner Vorgänger und Nachfolger abhebt. Dies mag in Zusammenhang stehen mit dem Aufenthalt Hugos in Rom und seinem Dienst für die römische Kurie und ist ein weiterer Hinweis auf die besondere Bedeutung, die Hugo von Rouen zukommt.

(1) Zum Leben Hugos von Rouen siehe vor allem Histoire littéraire XII, S. 647-667, Hébert, S. 325-371, die Notitia in PL 192, 1111-1130, sowie die unveröffentlichte Dissertation von Waldman, T.G., Hugh ‚of Amiens’, Archbishop of Rouen, Oxford 1970.

(2) In der Wissenschaft besteht ein Streit darüber, ob Hugo von Rouen mit einem gewissen Hugo von Ribbemont identisch ist. Wird dies bejaht, könnte dieses Ribbemont der Geburtsort Hugos sein, und er wäre dann später nach der nächstgrößeren, bekannteren Stadt Hugo von Amiens genannt worden. Hierzu ist vor allem ein Brief mit der Überschrift „Hugo Ribodimondensis G. Andegavensi“, also von Hugo von Ribbemont einem Gravion von Angers gewidmet, von Bedeutung. Einiges deutet darauf hin, daß es sich dabei um ein Frühwerk Hugos von Rouen handeln könnte. In diesem Streit ist es noch zu keiner Lösung gekommen. (Vgl. dazu vor allem Van den Eynde, S. 71-74.)

(3) Beda Venerabilis (De miraculis, II, 4, siehe: Histoire littéraire, S. 647) schreibt über Hugo: „Fuit autem hic non obscuri secundum carnem generis.“ Unklar ist, ob Hugo gar aus dem Adelsgeschlecht der Boves, der damaligen Herren von Amiens, stammte.

(4) Vgl. Petri Venerabilis opera omnia, Epistolarum Lib. VI, Epistola 32, in: PL 189, Paris 1854, 444-446.

(5) Dieser sah durch den Weggang Hugos das Wachstum der Abtei Reading gefährdet, hatte er doch Hugo gerade deshalb dort eingesetzt, „daß er in ihr mit seinen Brüdern Gott würdig verehre und daß wegen des guten Lebenswandels und der wahren Gottesverehrung seiner selbst und der ihm unterstellten Brüder die der Kirche übergebenen Güter vermehrt werden.“ (Papsturkunden in England, no. 15: „ut in ea Deo digne cum fratribus suis deserviret, et ut propter eiusdem fratrumque sub eo constitutorum bonam conversationem veramque religionem res predicte ecclesie augmentantur.“)

(6) Hugo nahm an den Konzilien bzw. Synoden in Reims (1131), Pisa (1135), Paris (1147), Reims (1148), Beaugency (1152) und Neufmarché (1160) teil. Für die Umsetzung seiner Politik Hugo mit starker Hand gesorgt, weshalb Bernhard von Clairvaux sich dazu veranlaßt sah, in einem seiner Briefe Hugo zur Nachsicht gegenüber seinen Gegnern aufzufordern. (Vgl. Bernhard von Clairvaux, Epistola XXV/Brief 25, in: Bernhard von Clairvaux, Sämtliche Werke, lateinisch/deutsch, hg. von Winkler, G.B., Bd. 2, Linz 1992, 396-399.)

(7) Eine heute leider nicht mehr zu findende Inschrift (siehe Gallia Christiana, S. 48.) pries den großen Erzbischof dieser Stadt:

„Inter pontifices speciali dignus honore

hic nostrae carnis Hugo resignat onus.

Consignata brevi clauduntur membra sepulcro.

Non tamen acta viri claudit uterque polus.

Quidquid dispensat et compartitur in omnes,

Gratia contulerat, praestiteratque viro.

Faecundus igitur virtutum copia fructus

Fecit et ultra hominem est magnificatus homo.

Tandem post celebris felicia tempora vitae,

Sustulit emeritum flebilis hora senem.

Par, Martine, tibi consorsque futurus eamdem

Sortitus tecum est commoriendo diem.“

(8) Seine Werke finden sich in PL 192, 1111-1352. Siehe auch Lecomte, S. 227-294. Zur Datierung der Werke und weiteren Einzelheiten vgl. Van der Eynde, S. 71-83.

(9) Zu den Briefen siehe PL 179, 665-666, 670; PL 180, 1617; PL 186, 1399, 1430-1432; PL 192, 1131-1138; Recueil des historiens des Gaules, t. 15, Paris 1878, 693-702.