Die Sieben Bücher der Dialoge

Im Rahmen meiner Diplomarbeit habe ich mich mit den Sieben Büchern der Dialoge (Dialogorum seu quaestionum theologicarum libri septem) auseinandergesetzt. Dies ist eines der umfangreichsten und inhaltlich bedeutsamsten Werke Hugos von Rouen und ist in der Zeit zwischen 1125 und 1133 entstanden. Das Werk ist Matthäus gewidmet, einem Verwandten Hugos, der im Jahr 1127 zum Kardinalbischof von Albano ernannt wurde. Eine frühe Fassung dieses Werkes könnte jener Matthäus bei seiner Romreise im Jahr 1126 mit sich geführt und verbreitet haben. Migne verwendet für seine Ausgabe dieses Werkes zwei Handschriften, einen „Codex Colbertinus“ und einen „Codex Grebovaldinus“, die markannte Unterschiede aufweisen. Im Codex Colbertinus fehlt das gesamte siebte Buch und sieben Seiten am Ende von Buch drei und am Anfang von Buch vier. Noch an mehreren anderen Stellen ist im Grebovaldinus einiges hinzugefügt, was im Colbertinus fehlt. Auch weist die Einteilung der Bücher bei beiden manche Unterschiede auf. Auffallend ist, daß in dem Brief, der den Sieben Büchern der Dialoge vorangestellt ist, im Codex Colbertinus Hugo noch als Abt von Reading tituliert wird, während er bei Grebovaldinus bereits Erzbischof von Rouen genannt wird. Einen ähnlichen Unterschied finden wir auch am Schluß des Briefes, in dem nochmals der Wirkungsort Hugos genannt wird, im Codex Colbertinus Reading, im Codex Grebovaldinus Rouen. Somit ist die These nich abweging, daß der Codex Colbertinus eine frühere Fassung des Werkes wiedergibt, die Hugo in Reading angefertigt hat. Der Codex Grebovaldinus, der auch aus Rouen stammt, wäre dann eine überarbeitete Fassung aus Hugos Zeit als Erzbischof.

Die Kritik an einer Aussage Hugos im fünften Buch bezüglich der Unfähigkeit exkommunizierter Kleriker, eine kirchliche Handlung auszuführen, mag Hugo zu einer Überarbeitung des Werkes veranlaßt haben. Die strittige These nimmt er aber nicht zurück, sondern legt sie vielmehr noch deutlicher dar. Dieses Problem wird näher ausgeführt in einem Brief des Abtes Hugo von Reading an Matthäus, den Migne zwischen dem sechsten und dem siebten Buch einfügt. Er ist, wie das gesamte siebte Buch, im Codex Colbertinus nicht vorhanden. Bei Migne kann durch den Einschub dieses Briefes zwischen Buch sechs und sieben der Eindruck entstehen, zwischen diesen beiden Büchern läge eine Zäsur. Eine genauere Untersuchung ergibt jedoch, daß die Endfassung des Werkes als Gesamtwerk konzipiert ist.

Die einzelnen Bücher sind in sich durch die Dialogform strukturiert, aber auch für das Gesamtwerk läßt sich eine klare Struktur erkennen. Jedes Buch steht unter einem zentralen Thema, das aus verschiedenen Perspektiven betrachtet wird. Dabei ist es so, daß dieses Thema am Ende des vorherigen Buches schon anklingt und dann zu Beginn des neuen Buches kurz und prägnant dargelegt wird. Ich möchte dies an Hand eines Beispiels verdeutlichen. Das erste Buch beschäftigt sich hauptsächlich mit der Frage nach der Trinität. Gegen Ende des Buches kommt Hugo auf den Heiligen Geist zu sprechen. Im letzten Kapitel behandelt er die Sünde wider den Heiligen Geist, für die es nach einem Wort Jesu keine Vergebung gibt. Nachdem Hugo dieses Wort zunächst dahingehend auslegt, daß die Kirche den Heiligen Geist gerade zur Vergebung der Sünden empfangen habe und deshalb eine Sünde wider den Heiligen Geist unverzeihlich sei, folgt noch eine andere Auslegung. „Wir können auch sagen, daß wider den Heiligen Geist sündigen dasselbe ist, wie sich gegen die Liebe zu verfehlen. Denn wer gegen die Liebe verstößt, kann - wie große Buße er auch immer tun möge - ohne die Liebe nicht losgesprochen werden.“ Die Sünde wider den Heiligen Geist wird als Sünde gegen die Liebe bezeichnet, ohne die keine Sündenvergebung möglich ist. Das zweite Buch setzt direkt wieder mit dem Thema Liebe ein. „Die höchste Liebe, die Gott ist, ist wo immer sie auch ist, keine größere oder kleinere Liebe.“ Geschickt hat Hugo so das erste und das zweite Buch miteinander verbunden, indem er das erste mit dem Thema Liebe enden läßt, welches das Hauptthema des zweiten Buches sein wird. Zugleich faßt Hugo am Ende des ersten Buches dessen Hauptthema Trinität zusammen, indem er das Buch mit einem Gebet, das die trinitarische Schlußformel enthält, enden läßt, die nur hier in dieser ausführlichen Form verwendet wird. Ähnliches läßt sich für jeden Übergang zwischen zwei Büchern feststellen.

Auch zwischen Buch sechs und Buch sieben wird diese Struktur beibehalten, was ein Belegt für die Einheit des Gesamtwerkes ist. Auch in seinem Aufbau unterscheidet sich das siebte Buch nicht von den übrigen. Blickt man auf das Gespräch, so findet der Dialog mit der letzten Frage am Ende des siebten Buches seinen Abschluß. Nach dem „Amen. Friede sei mit Dir!“ folgt die verdutzte Frage des Dialogpartners: „Was? Du hörst mit der Unterredung schon auf?“ Es folgt noch eine kurze Erwiderung und der Schluß des Werkes. Dennoch fällt inhaltlich auf, daß im siebten Buch kein eigenständiges Thema mehr aufgegriffen wird, sondern mehrere Aussagen aus den Büchern eins bis sechs näher ausgeführt werden. Hugo könnte folglich bei seiner Überarbeitung, die ja nach der jetzigen Quellenlage stattgefunden haben muß, so geschickt vorgegangen sein, daß er das siebte Buch nicht einfach nur an die anderen angefügt, sondern dieses harmonisch in die Struktur des Gesamtwerkes integriert hat.

Aus einem Brief, der dem Werk vorangestellt ist, geht hervor, daß es dem Bischof Matthäus von Albano gewidmet ist. Dieser ist ein Verwandter (consanguineus) und Freund Hugos, mit dem ihn das gemeinsame Studium in Laon und das Kleid der Cluniazenser verbindet. Hugo schreibt somit als Abt bzw. als Bischof an einen Mitbruder im geistlichen Dienst, der auch das Bischofsamt innehat. Aus dem Brief geht hervor, daß das Werk als Antwort auf eine Anfrage jenes Matthäus entstanden ist. Dieser wollte Auskunft haben zu den Themenbereichen Schöpfung und Geschöpf, zu der vernunftbegabten Schöpfung, jener, die gefallen ist, und jener, die standhaft blieb, zu Gut und Böse, zur Freiheit des Willens und zum ordnenden Wirken Gottes, zur Gnade des Erlösers und zu den Sakramenten. All diese Themenbereiche werden umfangreich behandelt.

Wie schon im Titel zum Ausdruck kommt, handelt es sich bei den Sieben Büchern der Dialoge um einen Dialog. Damit greift Hugo auf eine bereits in der Antike gebräuchliche und auch im Mittelalter weit verbreitete literarische Form zurück. Der Dialog galt als abwechslungsreicher und kurzweiliger als die Abhandlung, er macht den Hörer aufmerksam, macht den Gegenstand leichter faßbar und prägt ihn besser dem Gedächtnis ein. Der Leser kann sich in der Person des Dialogpartners aktiv in den Denkprozeß eingebunden fühlen. Oft besteht der Dialog aus einem Gespräch zwischen Lehrer und Schüler. Bei Hugo werden die Dialogpartner nicht näher definiert. Es gibt nur einen, der fragt, und einen, der antwortet. Sicher kann man Hugo selbst in der Rolle dessen sehen, der die Antworten gibt. Dem Fragenden kommt keine bestimmende Rolle im Gesprächsgeschehen zu. Vielmehr dienen seine Zwischenfragen dazu, die Themen zu gliedern. Oft ist es so, daß Hugo am Ende einer Ausführung zu einem Thema auf einen anderen Aspekt des Problems eingeht, was die Zwischenfrage des Gesprächspartners hervorruft und Hugo dazu bringt, den neuen Aspekt näher zu erläutern. Der Gedankengang wird hauptsächlich vom Antwortenden selbst bestimmt.

Meine These ist, daß in dem ungenannten Dialogpartner durchaus Matthäus gesehen werden kann. Es fällt auf, daß Hugo schon im Widmungsbrief etwas ironisch Matthäus darauf hinweist, daß über die zu behandelnden Themen schon viele Bücher geschrieben worden seien, und daß er sich daher wundere, daß Matthäus über so große und gewichtige Dinge eine kurze und einfache Antwort wünsche. Hugo hält ihn einfach nur für zu träge, um all die dicken Bände zu wälzen. Stattdessen beauftrage er Hugo, sich die Mühe des Studiums und des Scheibens zu machen. Genau solche ironischen Anspielungen finden sich auch immer wieder im Werk, etwa in der Form, daß Hugo seinen Gesprächspartner darauf hinweist, daß der Gegenstand einer Frage schon vorher behandelt wurde und der Dialogpartner wohl nicht richtig aufgepasst habe oder schwer von Begriff sei. Es könnte daher gut sein, daß Hugo sich seinem Mitbischof, bei allem Respekt vor dessen Amt, theologisch doch weit überlegen fühlt. Das Lehrer-Schüler-Verhältnis im Dialog muß also nicht unbedingt eine niedrigere Stellung des Dialogpartners bedeuten und so könnten Widmungsperson und Dialogpartner durchaus identisch sein.

Quellen des Denkens Hugos von Rouen

Hugo bietet in seinen Sieben Büchern der Dialoge einen Überblick über die wichtigen Themen mittelalterlicher Theologie. Er möchte den Glauben gemäß der Lehre der Kirche darlegen. Daher verwundert es nicht, daß er auf bewährte Autoritäten zurückgreift.

Die erste Grundlage für das theologische Denken im Mittelalter ist die Heilige Schrift. Sie blieb das Schulbuch der Theologie bis in die Frühscholastik und ist auch erster Bezugspunkt für Hugo. Wie alle frühchristlichen und mittelalterlichen Theologen hat er eine tiefe Kenntnis der Heiligen Schrift, die sein Leben und Denken bestimmt. Seine Argumentation geht oft von einem Schriftzitat aus oder führt auf ein solches hin. Scheint eine Erklärung der Heiligen Schrift zuwider zu laufen, führt der Dialogpartner oft ein Schriftzitat an, das Hugo dann aufgreift und durch dessen genaue Erklärung zeigt, daß seine Lehre doch mit der Heiligen Schrift konform ist. Wenn er aus der Heiligen Schrift zitiert, hat Hugo verschiedene Formeln, um ein Schriftzitat anzuführen. Zitiert er aus dem Alten Testament, schreibt er oft „propheta ait“, oder „Psalmista ait“. Bei Zitaten aus den Evangelien heißt es häufig „Veritas ait“, „Veritas in Evangelio dicit“ oder „Joannes dicit“. Bei Stellen aus den Paulusbriefen steht meist „Apostolus ait“, sonst findet sich auch nur „scriptum est“. Durch solche Wendungen sind Schriftzitate immer als solche kenntlich gemacht und es läßt sich nachvollziehen, in welchem Teil der Heiligen Schrift sie zu finden sind. Am häufigsten zitiert Hugo die Evangelien, allen voran das Johannesevangelium (33 mal), oft auch das Matthäusevangelium (25 mal) und das Lukasevangelium (18 mal), jedoch nur zweimal das Markusevangelium. Aus den Paulusbriefen zitiert Hugo sehr oft den Römerbrief (37 mal) und den Ersten Korintherbrief (14 mal). Zehnmal zitiert Hugo den Ersten Johannesbrief und sechsmal den Jakobusbrief. Andere Schriften des Neuen Testaments werden nur sporadisch erwähnt. Aus dem Alten Testament zitiert Hugo am häufigsten die Psalmen (17 mal) und das Buch Genesis (16 mal). Es fällt auf, daß relativ viele andere Bücher vertreten sind, aber oft nur durch ein Zitat.

Ein einziges Mal, nämlich in bezug auf die Neuschöpfung der Einzelseele durch Gott, für die Hugo kein Schriftzitat anführen kann, beruft er sich explizit auf eine andere Autorität als die der Heiligen Schrift, nämlich auf das von der gesamten Kirche anerkannte Zeugnis des heiligen Kirchenvaters Hieronymus. Sicher ist aber Hieronymus nicht die einzige kirchliche Autorität, die Hugo in seinem Werk zitiert. Der heilige Augustinus hat das Denken des Mittelalters geprägt wie kein anderer. Sein umfangreiches Schrifttum ist bei allen mittelalterlichen Theologen in einem mehr oder weniger großen Umfang als bekannt vorauszusetzen und wurde in vielen mittelalterlichen Werken mehr oder weniger wörtlich wiedergegeben. Auch Hugo steht unter dem Einfluß von Augustinus.

Seine theologische Ausbildung hat Hugo an der Schule von Laon erhalten. Diese war eine der großen Kathedralschulen und war bis ins 12. Jahrhundert hinein von großer Bedeutung. Von etwa 1080 an wurde die Schule von Anselm von Laon geleitet bis zu dessen Tod im Jahre 1117, danach von dessen Bruder Radulf. Anselm und Radulf waren Schüler Anselms von Canterbury. In Laon studierten bedeutende Theologen des 12. Jahrhunderts, so unter anderem Wilhelm von Champeaux, der Gründer der Abtei St. Viktor in Paris, in der sich dann eine bedeutende Schule entwickelt hat. Abaelard war eine gewisse Zeit in Laon, geriet dann aber in Konflikt mit Anselm, den er in seiner Historia calamitatum sehr verunglimpft. Hugo von Rouen studierte Anfang des 12. Jahrhunderts unter Anselm von Laon an dieser Schule. Charakteristisch für diese Schule ist eine besondere Bedeutung der Schriftauslegung, sei es durch ausführliche Kommentierung oder knappe Glossierung. Die Schule blieb somit der traditionellen Schrifttheologie verpflichtet, und obwohl Logik und Dialektik im Rahmen der theologischen Reflexion nur sehr schwach ausgeprägt waren, wurden in der Schule von Laon doch die Grundlagen der systematischen Theologie gelegt, die zu den Summen der Hochscholastik führte und Anselm wird gepriesen als ein wahrer Vorreiter der Etablierung der Theologie als wissenschaftliche Disziplin.